Muss man Kinder nicht hin und wieder in die Schranken weisen?

2015 lag die statistische Geburtenrate in Deutschland bei 1,5 Kindern je Frau. Dies ist der Höchststand seit 1982.

Die geringe Kinderdichte in Deutschland hat zur Folge, dass immer mehr Menschen unsicher, teilweise überfordert sind, sobald sie selbst Eltern werden.

Manchmal benehmen sich Kinder sowas von daneben. Sie sind unfreundlich, sie sind undankbar und respektlos. Sie schreien und beschimpfen andere, sobald ihnen etwas nicht passt. Und manche wüten auf eine unangemessene Weise: indem sie Gegenstände werfen, andere hauen, beißen und kratzen.

Da darf man doch nicht einfach zusehen? Man muss dem Kind doch klipp und klar sagen, dass das nicht geht, dass das einfach kein sozial adäquates Verhalten ist. Sonst denkt es, dass es das immer so machen kann und bekommt später im Leben so richtig Probleme!

Und was ist mit dem Opfer? Soll ich dem etwa signalisieren, dass mir egal ist, was mit ihm passiert? Dass ich das vielleicht auch noch gutheiße? Wäre das nicht eine total verkehrte Welt?

Sind das ungefähr deine Fragen und Gedanken? Dann lass mich dir mit einem vielleicht etwas absurd anmutendem Gedankenspiel antworten.

Ein absurd anmutendes Gedankenspiel

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Nehmen wir an, die Regierung reagiert auf eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass in der Zukunft ein Vermögen eingespart werden könnte, wenn man heute einmal massiv Geld in die Hand nimmt und dafür sorgt, dass Kinder frei von jeglicher psychischer und physischer Gewalt aufwachsen können. 

Als Erwachsene bräuchten diese Kinder dann kaum noch psychologische Betreuung, wären auch seltener physisch krank. Sie könnten sich besser in die Gesellschaft eingliedern und dort einen größeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Gleichzeitig würden sie ganz selbstverständlich auf Umwelt und Mitmenschen Rücksicht nehmen. Es gäbe weniger Gewalt und Verbrechen. Das ist natürlich eine rein fiktive Studie …

Kaum ein Mädchen wurde groß, ohne dass es die Möglichkeit hatte, beiläufig die Rolle als Mutter zu erlernen und einzuüben.

Die Regierung verabschiedet nun ein Gesetz, mit dem sie Kinder sehr engmaschig vor psychischer, aber auch physischer Gewalt ausgehend von Eltern und anderen Autoritätspersonen schützen will. Zu diesem Zwecke wird das Jugendamt mit viel Personal ausgestattet und dieses schwärmt aus in alle Familien, um diese entsprechend zu „unterstützen“.

Es mangelte nicht an Gelegenheiten zu beobachten, wie Erwachsene mit Säuglingen umgehen. Ganz selbstverständlich passten die Mädchen (aber sicher auch die Jungen) auf ein Nachbarbaby, den kleinen Cousin oder das eigene jüngere Geschwisterkind auf.

Frau M. vom Amt zieht bei euch ein

Auch in deine Familie kommt nun so eine Fachperson. Diese wird dir 24 Stunden an die Seite gestellt und wenn nötig, bleibt sie so lange, bis du dein Kind nicht mehr anmeckerst, anmotzt, es anfährst, anschreist, ihm drohst, es erpresst, grob anfasst oder durch die Gegend zerrst.

Einerseits ein Gedanke, der ein mulmiges Gefühl bei dir aufkommen lässt. In dir sträubt sich etwas. Schließlich ist das doch sehr privat. Es geht um eine Seite an dir, die du nicht gerne zeigen, am liebsten ganz und gar vertuschen möchtest.

Zum Antritt unserer Mutterschaft wissen viele von uns kaum etwas von all den Problemen, die es beim Großziehen der Kinder natürlich schon immer gegeben hat.

Andererseits freust du dich vielleicht, weil du dir schon lange wünschst, dass du deiner Familie mit mehr Geduld und Gelassenheit begegnen kannst. Es soll endlich Schluss sein mit der ollen Mecker-Mama. 

Vielleicht wird es dir ja jetzt gelingen, mit der Unterstützung von einem Experten, damit aufzuhören. Du willst ja selbst nicht so sein und kritisierst dich schon lange hart dafür. Aber du fühlst dich nun mal auch häufig überfordert, die Emotionen kochen hoch und dann bist du so gar nicht die Mama, die du deinem Kind wünschst.

Du beschließt, dich auf das Wagnis einzulassen

Du möchtest mit dieser Fachperson so gut wie möglich zusammenzuarbeiten, um möglichst rasch ein Ergebnis zu erzielen. So hoffst du, diese lästigen Verhaltensweisen ein für alle mal loszuwerden.

Da kommt also eine Frau M. zu euch in die Wohnung. Schon im Vorgespräch erzählst du frei, was bei euch zu Hause so los ist. Statt verständnisvoll zu nicken, runzelt die Frau allerdings die Stirn, notiert alles akribisch und sagt dir dann klipp und klar, dass das überhaupt nicht in Ordnung ist. Sie wird solches Verhalten nicht tolerieren. 

Ok, sie versteht, dass du diese Gefühle hast, aber das dürftest du doch nicht am armen Kind auslassen! Dieses könne schließlich nichts dafür. Du müsstest deine Aggressionen besser in den Griff kriegen. 

Vielleicht kannst du in ein anderes Zimmer gehen und in ein Kissen schlagen, vielleicht die bösen Gedanken nur denken, nicht sagen – oder einfach an etwas Schönes denken. 

Es sei ihr eigentlich egal, was du letztlich machst, aber mit dem Gemecker, Gemotze, Geschrei und Co. sei ab heute ein für alle mal Schluss.

Dafür werde sie schon sorgen. Du schluckst. Das war deutlich. Du ahnst, dass es für dich nicht so leicht werden wird, Frau M. zufriedenzustellen.

Nun ist Frau M. eben bei euch zu Hause und steht „unauffällig" im Hintergrund und macht sich fleißig Notizen. Sobald du ihrer Meinung nach eine Grenze überschreitest und „zu unfreundlich“ mit deinem Kind umgegangen bist, sagt sie mit eisiger Stimme (manchmal packt sie dabei deinen Arm ganz fest) „Nein, das dürfen Sie nicht“ und sieht dich streng an.

Puh, diese Zurechtweisungen fühlen sich an wie eine Backpfeife. Es geschieht recht häufig am Tag, denn Frau M. ist sehr streng in der Auslegung psychischer Gewalt. Abends gibt es immer noch ein Auswertungsgespräch, wo sie dir noch mal alles aufzählt, was nicht mehr vorkommen darf.

Sie sagt, sie könne das nicht durchgehen lassen. Was ist mit dem Kind? Das soll nicht denken, dass so ein Verhalten okay ist. Hier muss sie einfach mal ganz klar eine Grenze ziehen zum Wohle des Kindes. Das muss aufhören. Sonst würde sie sich zu Konsequenzen gezwungen fühlen …

Wie geht es dir nach ein paar solcher Tage?

Hast du das Gefühl, eine Versager-Mutter zu sein, die nichts, aber auch gar nichts auf die Reihe kriegt? Fragst du dich, was mit dir bitte nicht stimmt, dass du in den entscheidenden Momenten deine Gefühle nicht in den Griff kriegst?

Fragst du dich vielleicht, ob die Kinder bei dir noch länger gut aufgehoben sind? Weinst du dich vielleicht verzweifelt in den Schlaf?

Du fühlst dich vermutlich einfach nur elend. Dein Selbstwertgefühl ist im Keller. Du glaubst selbst nicht mehr daran, dass du dich ändern kannst und glaubst, dass du nun mal durch und durch eine „schlechte“ Mutter bist. 

Du fühlst dich sehr gestresst. Und am Ende „passiert“ es dir gerade dadurch noch häufiger als früher, dass du dich nicht zugewandt deinem Kind gegenüber verhältst. Die Zurechtweisungen von Frau M. nimmst du resigniert entgegen. Du kannst und du magst nicht mehr …

STOP!

Legen wir mal einen anderen Film ein

Jetzt nehmen wir einfach mal an, diese Frau M. ist in Wirklichkeit ganz anders drauf. Als du im Vorgespräch einen Seelenstriptease hinlegst, nickt sie verständnisvoll und sagt in einem beruhigenden Ton: „Jetzt bin ich ja da.“ Sie erklärt dir, dass es ganz vielen Mamas so geht wie dir und dass du einfach ein bisschen Unterstützung und Zuspruch brauchst, dann klappt das schon bald viel besser. Da sei sie sich ganz sicher.

Diese alternative Version der Frau M. ist nun in deinem Alltag dabei. Wenn sie merkt, dass du leicht angespannt wirst, sagt sie dir, dass du ruhig fünf Minuten frische Luft schnappen gehen kannst. Sie hält so lange die Stellung. Wenn du sie zwischendurch anschaust, lächelt sie dir aufmunternd zu. Sie glaubt an dich.

Sie schaut sich euer soziales Netzwerk an, redet mit den Leuten um dich herum und bittet sie, dich mehr zu unterstützen. Dazu macht sie ihnen konkrete Vorschläge, die für die Menschen eine Kleinigkeit wären, für dich aber dringend benötigte kleine Verschnaufpausen bedeuten würden.

Sie stellt dich auch anderen Mamas vor, denen es ganz ähnlich geht, sodass ihr in Zukunft gegenseitig in schwierigen Situationen füreinander einspringen könnt. 

Abends gibt es auch bei ihr jeweils ein Auswertungsgespräch. 

Sie weist dich darauf hin, was du alles schon sehr gut machst.

Ihr feiert Situationen, die ihr zusammen so weit entschärft habt, dass sie nicht, wie früher, eskaliert sind. Sie freut sich mit dir und ihr lacht bei diesen Gesprächen oft ausgelassen miteinander.

Und wenn doch mal was doof gelaufen ist? Dann sagt sie dir, dass sie gut nachfühlen kann, wie das in der Situation für dich gewesen sein muss. Sie gibt dir Tipps, was du nächstes Mal tun kannst, um diese zu vermeiden. Ihr übt Techniken ein, wie du dich blitzschnell entspannen kannst.

Ihr besprecht, wie du den Tag umstrukturieren oder herausfordernde Situationen so umstellen kannst, dass es gar nicht erst so weit kommt. Im Alltag erinnert sie dich rechtzeitig, sanft und freundlich an Vereinbarungen.

Wie geht es dir nach ein paar Tagen mit ihr?

Du fühlst dich wunderbar

Endlich gelingt es dir, mehr und mehr eine durch und durch gute Beziehung zu deinem Kind zu führen – auch in schwierigen Situationen. Du bist zunehmend für dein Kind da und modellierst ihm durch dein Verhalten eine gesunde Gefühlsregulation. Wenn du abends einschläfst, bist du stolz und zufrieden.

An dem Tag, als Frau M. sich verabschiedet, bist du traurig, denn du wirst sie sehr vermissen. Sie sagt, hier gäbe es nichts mehr für sie zu tun, sie müsse sich jetzt um andere Familien kümmern. Aber sie sei sehr stolz auf das, was du erreicht hast. Sie drückt dich noch mal ganz herzlich, winkt und lächelt dir zu, während du ihr nachschaust, wie sie den Gehsteig entlangläuft und hinter der nächsten Häuserecke verschwindet. Du fühlst dich stark.

So weit zu dem Gedankenspiel. Vielleicht inspiriert es dich ja, für dich zu überlegen, was eine solche Frau M. in deinem Alltag genau verändern würde. Du kannst diese Veränderungen vielleicht selbst in Gang zu setzen?! 

Aber jetzt lass uns nochmal zurückkommen zur Eingangs gestellten Frage.

Und was ist jetzt mit meinem Kind, das sich nicht zu benehmen weiß?

Nimm Unterstützung an

Unsere Kinder sind noch jung und lernen. Dass wir Schreien und Schlagen und unfreundliche Worte grundsätzlich nicht gut finden, haben sie sicher schon mitbekommen. Aber sie verhalten sich in vielen für sie herausfordernden Situationen nicht entsprechend. Sie können es noch nicht besser.

Wir sind die Person, die ihnen 24 Stunden zur Seite gestellt wird. Wie möchtest du dich deinem Kind gegenüber verhalten, wenn es sich so richtig danebenbenimmt?

Möchtest du es jedes Mal mit scharfen Worten zurechtweisen? Oder gar eine „Grenze ziehen“, indem du Strafen androhst und verhängst, die ihm hoffentlich eine Lehre sein werden?

Oder möchtest du deinem Kind mit Empathie begegnen, es so gut du kannst dabei unterstützen, sodass es sich von seiner ihm bestmöglichen Seite zeigen kann? Möchtest du diejenige sein, die an dein Kind glaubt?

Soll dein Kind sich in der Beziehung zu dir so sicher aufgehoben fühlen, dass es Fehler zugeben und um Unterstützung bitten kann?

Natürlich solltest du, falls nötig, dich selbst, andere, sowie wertvolle Gegenstände bei solchen emotionalen Ausbrüchen deines Sprösslings schützen. Du brauchst auch nicht lächeln, wenn du gerade beschimpft oder geschlagen wirst. Natürlich darf dein Kind merken, wenn es deine Grenzen überschreitet. Du kannst ihm deutlich sagen und zeigen, dass es dir weh tut und du das nicht möchtest. 

Und gleichzeitig kannst du Verständnis für seine Emotionen und die momentane Unfähigkeit haben, diese anders auszudrücken. Du siehst vor dir einfach ein Kind, das gerade außer sich ist und ganz dringend Hilfe braucht.

Es gibt keinen Grund, das Handeln oder die Worte deines Kindes persönlich zu nehmen. Solltest du dich besonders getroffen fühlen und sehr wütend werden, so verstecken sich dahinter Wunden aus deiner Vergangenheit. Diese haben mit deinem Kind erst mal gar nichts zu tun. Diese Zusammenhänge solltest du dir bewusst machen, dich mit ihnen auseinandersetzen, um dein unschuldiges Kind nicht damit zu belasten.

Du darfst daran glauben, dass es deinem Kind mit deiner Hilfe mit den Jahren gelingen wird, gesunde Wege zu finden, rechtzeitig für sich selbst zu sorgen. Es braucht dafür Zeit und deine geduldige, liebevolle und zugewandte Begleitung und dein Vorbild.

Wie geht das konkret?

Du möchtest gerne die Beziehung zu deinem Kind stärken und die oben beschriebene unterstützende Haltung einnehmen? Aber du steckst irgendwie in alten Gedanken- und Handlungsmustern fest?

Von heute auf morgen alles ganz anders zu machen, ist unrealistisch. Aber kleine Schritte in die gewünschte Richtung zu unternehmen, ist gar nicht so schwer, macht Spaß und führt zu kleinen Erfolgserlebnissen, die dich motivieren.

Wie sind deine Gedanken zu dem Thema? Hast auch du die Erfahrung gemacht, dass erfahrenere Mütter häufig entspannter sind? Ich freue mich über deinen Kommentar.

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Was dir – genau wie den Schimpansinnen – helfen kann, ist ein soziales Netzwerk, das dich unterstützt und dich in harten Zeiten auffängt. Nimm daher jede Gelegenheit wahr, Familienbande, Freundschaften und deinen Bekanntenkreis zu pflegen. So fällt es dir leichter, um Hilfe zu bitten und Unterstützung zu erhalten. Du musst es nicht alleine schaffen.

Autorin Lena Franck

Ich bin Lena Franck, 41 Jahre alt und selbst Mutter dreier Kinder. Als Mama-Coach helfe ich Müttern, im Familienalltag gelassen und selbstsicher zu sein, sodass sie ihr Leben mit ihren Liebsten endlich genießen können, statt nur zu meckern und zu schimpfen – denn eine zufriedene Mama ist das größte Geschenk für die Entwicklung eines jeden Kindes!
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