Dein Kind braucht dich. Deshalb erscheint es dir nur natürlich, ihm deine ganze Zeit zu widmen, es rund um die Uhr zu betreuen?
Zugleich empfindest du es oft als anstrengend, dich mit deinem Kind zu beschäftigen? Warum fühlt es sich tatsächlich häufig gar nicht natürlich an, mit seinen Kindern Kaufladen zu spielen, sie mit Bastelarbeiten zu beschäftigen und ihnen die Regeln des menschlichen Miteinanders zu lehren?
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Weil es eben nicht natürlich ist!
Das Idealbild einer modernen Mutter
Das Idealbild einer treu sorgenden, sich aufopfernden Mutter, Haus- und Ehefrau ist in unserer „westlichen“ Welt weit verbreitet (obwohl es die meiste Zeit der Menschheitsgeschichte nicht existiert hat – dazu gleich).
Verändert hat sich in den letzten ca. vier Jahrzehnten lediglich, dass jungen Mädchen suggeriert wird, sie könnten heute alles erreichen. Schließlich haben sie ja die gleichen Bildungschancen wie ihre männlichen Altersgenossen.
Frauen im Job als tickende Zeitbomben
Schon beim Berufseinstieg spüren junge Frauen aber, dass die Arbeitgeber eine Frau offensichtlich anders beurteilen als einen Mann. Sie erhalten für die gleiche Tätigkeit ein geringeres Gehalt, sie übernehmen seltener Personalverantwortung und steigen nicht so oft in Führungspositionen auf. Ein Grund ist sicher, dass sie schwanger werden …
Ja, und was dann? Dann wird die Frau viel um die Ohren haben. Egal ob sie in Vollzeit oder Teilzeit arbeitet, sie hat in der Regel zusätzlich (fast) die komplette Belastung durch den Haushalt, sie organisiert das Leben ihrer Kinder und wird zudem meist von einem permanent schlechten Gewissen begleitet.
Oder sie hört ganz auf zu arbeiten, um dem genannten Ideal der treu sorgenden Mutter auch wirklich gerecht werden zu können. Klar: Aus Sicht eines Arbeitgebers scheint man auf der sicheren Seite zu sein, wenn man in die Entwicklung eines männlichen Mitarbeiters investiert.
Aber es ist doch von der Natur so gewollt, oder?
Ja, man könnte meinen, es war schon immer so angelegt. Frauen werden schließlich schwanger und sind dann allein durch das Stillen lange an das Kind gebunden. Ein biologisches Faktum. Da ist es doch klar, dass die Mutter zu Hause bleibt und sich um Haushalt und Kind kümmert.
Ach ja? Wie war es denn in früheren Zeiten der Menschheitsgeschichte?
Hat die Steinzeit-Mutter für die Familie das Feuer am Laufen gehalten, den Höhlenboden gefegt, das vom Mann zum Feierabend heimgebrachte Mammut zerlegt und ansonsten mit den Kindern aus Tierknochen Türme gebaut, bis diese zusammenkrachten und alle lachten?
Wohl kaum. Wir können nicht genau wissen, wie es war. Aber Forscher haben das Leben von Naturvölkern beobachtet, die vor kurzem noch sehr ähnlich lebten, wie wir dies vor langer Zeit vermutlich getan haben.
So lebten Familien in der Steinzeit
Das Dorf
Früher lebte der Mensch nicht isoliert in der Kernfamilie, sondern in einer Gemeinschaft, in der man sich gut kannte und gegenseitig unterstützte. So waren die Überlebenschancen größer.
Da die Mutter bei Geburt des Kindes in ein enges Beziehungsgeflecht verwoben war, konnte auch das Kind sich an mehrere Bezugspersonen binden.
Bei Naturvölkern kann man immer noch beobachten, wie Babys mal von der eigenen, mal von anderen Müttern gestillt werden – wie es gerade passt.
Mütter hatten ganz selbstverständlich verschiedene Aufgaben zu erledigen und ließen ohne schlechtes Gewissen ihre Kinder in den Händen anderer zurück. Großmütter, Väter, Tanten, Nachbarn und ältere Kinder sprangen zuverlässig ein, wenn die Mutter gerade nicht da oder krank und erschöpft war. Es musste wenig organisiert werden.
Die Mutter förderte eine Bindung ihrer Kinder an weitere Bezugspersonen. Lebensrisiken waren allgegenwärtig. Da war es gut zu wissen, dass die Kinder im Zweifel versorgt sein würden.
Mütter waren niemals zuvor alleine für die Betreuung ihrer Kinder verantwortlich. Kein Wunder, dass viele Mütter heute, die allein verantwortlich sind, ein Kind zu betreuen, physische und psychische Stresssymptome zeigen.
Die Kindergruppe
Insbesondere für die kleinsten Kinder standen Bezugspersonen zur Verfügung. Waren die Kinder etwa drei Jahre alt, verbrachten sie die meiste Zeit unbeaufsichtigt durch Erwachsene in Gruppen von Kindern gemischten Alters.
Dabei lernten sie voneinander soziale Kompetenzen, indem sie gegenläufige Interessen untereinander regelten und sich die älteren Kinder um die jüngeren kümmerten. Ihre Hauptaufgabe war das Spielen – wild, laut und ungestüm. Und das war gut so.
Kinder waren schon immer auf das freie Spiel mit anderen Kindern angewiesen, um sich gut zu entwickeln. Das gilt heute noch genauso wie in der Steinzeit.
Und die Mütter?
Die hatten alles mögliche zu tun! Sie gingen auf die Jagd, sammelten Essbares, stellten Werkzeuge her, besserten Kleidung aus, pflegten Verletzte und Kranke, und tauschten sicherlich auch den neuesten Klatsch und Tratsch mit anderen Erwachsenen aus. Vielleicht widmeten sie sich auch noch der Höhlenmalerei. Langweilig war es ihnen wohl kaum.
Und natürlich hatten sie oft Kinder um sich. Sie konnten sich aber wahrscheinlich nicht die Zeit nehmen, sich über längere Zeit ausschließlich den Kindern zuzuwenden.
Mütter erfüllten früher vielfältige Aufgaben, ohne sich im Besonderen um die Kinderbetreuung kümmern zu müssen. Mit dem passenden sozialen Netz war das kein Problem.
Wie hilft uns dieses Wissen in unserem modernen Mutter-Dasein?
Natürlich war in der Steinzeit nicht alles besser. Das Leben war hart und die Lebenserwartung gering. Wir wollen die Annehmlichkeiten unseres modernen Daseins nicht mehr missen.
Unsere Gene und die unserer Kinder sind jedoch auch heute noch auf das harte Leben in der Steinzeit ausgerichtet. Ein Vergleich unseres Lebens mit dem damaligen hilft uns aufzudecken, welche Aspekte uns auf unserem kulturellen Weg bis heute verloren gegangen sind.
Mit diesem Bewusstsein können wir uns und unsere Kinder besser verstehen und uns Anregungen für ein „artgerechteres Mutterleben“ holen.
Vertraue deinem Gefühl. Sei authentisch
Du hast dich darauf gefreut, deine Kinder aufwachsen zu sehen, möglichst intensiv mit ihnen zu leben? Jetzt sitzt du manchmal mit deinem Kind auf dem Fußboden und fühlst dich unterfordert, ja gelangweilt, wenn du mit ihm zum x-ten Mal das Puppengeschirr für alle Kuscheltiere aufbaust. Aber darf man das überhaupt denken?
Dieses Gefühl solltest du nicht verdrängen, sondern als Signal wahrnehmen. Spiele mit deinem Kind nach Lust und Laune – so lange es dir wirklich Spaß macht. Wenn du es strukturiert magst, richte eine besondere Zeit am Tag ein, in der du dich voll und ganz auf dein Kind konzentrierst, es darf dann die gemeinsame Aktivität bestimmen. Dein Kind wird begeistert sein, denn es spürt deine Präsenz, deine aufrichtige Freude und Energie.
Auf eine ständige Begleitung des kindlichen Spiels sind Erwachsene jedoch biologisch nicht ausgerichtet.
Sie haben weder die Nerven für andauerndes wildes Gehüpfe, noch für lautes Gejohle. Sie haben – im Gegensatz zu ihren Kindern – keinen inneren Antrieb, das Puppengeschirr und die kuscheligen Gäste immer wieder neu zu arrangieren.
Häufig tun sie es, einem sozialen Ideal folgend, trotzdem. Sie reagieren dann zunehmend gereizt, weil sie eigentlich unzufrieden sind und ermahnen die Kinder dazu, sich ordentlich, d.h. ruhig – wie kleine Erwachsene – zu verhalten.
Die Kinder haben sehr feine Antennen. Sie spüren, dass irgendwas nicht stimmt. Sie haben das Gefühl, irgendwie „falsch“ zu sein und die Eltern mit ihrem Sein zu verärgern. Und das, obwohl wir Eltern das alles nur tun, um den Kindern zu signalisieren, dass wir sie mehr als alles auf der Welt lieben.
Merkst du, dass du jetzt eigentlich nicht mehr mit deinem Kind spielen willst, so kannst du das ruhig sagen. Es ist die Aufgabe der Kinder, den ganzen Tag zu spielen. Erwachsene haben andere Aufgaben.
Baue das soziale Familien-Netzwerk aus
Sind Eltern bzw. Schwiegereltern vor Ort und versteht man sich gut mit ihnen, werden sie sich zumeist ganz natürlich zu wichtigen Bezugspersonen für Eltern und Kinder entwickeln.
Heute Leben allerdings viele Familien zumindest einige Autostunden entfernt von Oma, Opa, Onkel, Tante, Cousins und Cousinen.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als nach Alternativen Ausschau zu halten.
Sowohl du als Mama, als auch deine Kinder brauchen den sozialen Kontakt dringend.
Halte Ausschau nach netten Familien aus der Nachbarschaft, aus dem Kindergarten, aus der Schule. Wechsle dich mit dir sympathischen Müttern in der Kinderbetreuung ab. Selbstverständlich kann auch die nette ältere Dame aus der Dachgeschosswohnung oder ein Single-Freund zu deinem sozialen Netzwerk dazugehören.
Nimm dir bewusst Zeit für die Beziehungspflege. Halte die Augen offen, was die anderen brauchen, erkundige dich nach dem Wohlergehen und berichte auch du offen und ehrlich, was dich umtreibt. Hole dir Besuch ins Haus. Etabliere in deinem Umfeld eine Kultur des Gebens und Nehmens.
Erwarte nicht, dass sich euer Netzwerk von heute auf morgen aus dem Boden stampfen lässt.
Sei geduldig und gib den Beziehungen Zeit sich zu entfalten. Das nötige gegenseitige Vertrauen kann sich nur langsam entwickeln.
Deine Kinder werden ganz selbstverständlich in dieses Beziehungsgeflecht eingebunden sein. Du wirst ihr Vorbild sein: Sie können beobachten, wie ein wertstiftendes soziales Miteinander organisiert wird.
Bringe dein Kind mit anderen Kindern zusammen
Kinder brauchen Kinder. Hierfür haben sich in unserer modernen Gesellschaft Institutionen wie Krippe, Kindergarten, Schule und Hort etabliert. Solange diese Einrichtungen qualitativ hochwertig sind, werden die meisten Kinder davon profitieren. Denn Kinder können dort im Miteinander ihre sozialen Kompetenzen entwickeln.
Du kannst währenddessen deiner Arbeit oder auch anderen Interessen nachgehen. Du wirst von der Kinderbetreuung entlastet. Durch die so gewonnene Energie, kannst du dich deinem Kind mit ganzem Herzen zuzuwenden.
Keine Angst – die Eltern bleiben weiterhin die wichtigsten Bezugspersonen der Kinder.
Wie es ihnen geht und wie sie sich entwickeln, hängt, laut aktueller Studienlage, auch bei fremdbetreuten Kindern, weiterhin von der elterlichen Zuwendung ab.
Alternativ oder zusätzlich kannst du für dein Kind Spielverabredungen treffen. Ältere Kinder können das selbstständig in die Hand nehmen. Die Kinder beschäftigen sich gegenseitig und du hast wieder ein Zeitfenster für „Erwachsenentätigkeiten“ gewonnen.
Lade eine Freundin oder Bekannte mit deren Kindern ein. So können die Kinder miteinander spielen und ihr könnt euch – wie schon die Steinzeitmütter – dem neuesten Klatsch und Tratsch widmen.
Erlaube dir, eigene Interessen zu haben
Früher hast du neben der Arbeit einen Zumba-Kurs besucht, in einem Chor gesungen, hast Romane verschlungen, warst wandern oder auf Shoppingtour.
Klar, mit Familie hat man nicht mehr so viel Zeit und muss zurückstecken. Aber du solltest deine Bedürfnisse nicht ignorieren und dir deine Selbstverwirklichung nicht verwehren. Sonst ist dein Selbstwertgefühl und dein Wohlergehen beeinträchtigt. Und darunter leidet die ganze Familie.
Setze deine Prioritäten neu. Überlege dir eine Aktivität, der du gerne wieder regelmäßig nachgehen möchtest. Organisiere für diesen Zeitraum eine Kinderbetreuung.
Das ist wichtig – für dich und damit auch für deine Kinder.
Wie ist das bei dir? Hast du schonmal versucht, einem gesellschaftlichen Idealbild nachzueifern, und gemerkt, dass es dir und deiner Familie nicht gut tut? Hinterlasse mir einen Kommentar.
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Liebe Lena,
dieser Artikel ist super! Genau diese Thematik bespreche ich tagtäglich in der Arbeit mit Müttern und Ihren Kindern, in unserem Kurs“ Leben mit dem BABY“ im Kopffüßler in München.Dort versuchen wir ein bißchen das Dorf zu ersetzen, das man eben braucht für die Familien. Wir besprechen sehr oft das Idealbild, das Mütter von sich haben und an dem sie nur scheitern können…
Auch persönlich kenne ich das Gefühl, nicht meinem Bild einer idealen Mutter zu entsprechen, sehr gut. Und das erzähle ich den anderen Müttern…wie gerne wäre ich die Mutter, die noch ganz im Spiel aufgeht und sogar als Cowboy ausdauernd den Spielwünschen der Kinder entspricht…dem ist nur manchmal so…besser gesagt sehr selten.
Obwohl ich es anders weiß, habe ich bei meinen eigenen Kindern immer wieder diesen Anspruch an mich.Perfektionismus?
Toll, dass Du diesen Blog schreibst und es so präzise formulieren kannst, in welchem Wirrwarr wir uns da befinden…als Frauen und als Mütter.
Danke,
Isabella
Ganz toller Artikel, der wirklich Mut macht! Wir erwarten unser erstes, und ich ziehe grade unheimlich viel Energie aus tollen Texten wie deinen. DANKE!! <3
Liebe Anneli,
finde ich ja toll, dass ich auch werdende Mütter erreiche 🙂
Danke, ich freue mich sehr über ein solches Feedback.
Ich wünsche euch einen entspannten Start in das Leben zu dritt.
Genießt den Zauber, der jedem Anfang inne wohnt – Alles Gute!!!
Lena
Vielen Dank für deinen Artikel Lena. Dieser ist einfach toll. Ich verfolge deinen Blog erst seit kurzem, aber habe schon sooooo viel daraus für mich und meine Familie mit genommen. Hab erkannt, dass ich in der aktuellen Situation nicht so glücklich bin und dass ich es ändern kann?? einfach danke und mach weiter so?
Liebe Kathrin,
ganz lieben Dank für deinen Kommentar, über den ich mich von Herzen freue! Ich betreibe diesen Blog auch erst seit ein paar Monaten und hatte so sehr gehofft, bei der ein oder anderen Mama etwas Positives bewirken zu können. Du machst mir Mut, dass ich auf dem richtigen Weg sein könnte.
Liebe Grüße und schöne Feiertage
Lena