Dein Zweijähriger sieht dich mit einem arglistigen Grinsen an und fegt mit einer gekonnten Armbewegung seinen halbvollen Teller samt Wasserbecher vom Tisch. Er blickt dich erwartungsvoll an und da du ihn einfach nur ungläubig anstarrst, spuckt er noch demonstrativ auf den Tisch.
Deine vierjährige Tochter schlägt nach dir und verkündet wutentbrannt: „Du bist eine blöde Mama! Wenn ich nicht noch eine Folge schauen darf, dann haue ich dich immer weiter und helfe dir nie wieder!“
Oder beide Kinder wollen ausgerechnet mit dieser einen von siebzehn vorhandenen Puppen spielen. Dabei platzieren sie verletzende Worte wie „Mit dir spiele ich nie, nie mehr! Du bist Kaka, Pipi!“. Die Wut aufeinander schaukelt sich hoch, sie reißen sich gegenseitig an den Haaren und hinterlassen schlimme Kratz- und Bissspuren.
In solchen und vielen weiteren Momenten fühlt man sich als Mutter schnell überfordert, denn die „richtige“ Reaktion liegt nicht auf der Hand, vor allem nicht, wenn die eigenen Emotionen gerade hochkochen.
Eine innere Stimme setzt uns unter Druck und sagt: „Hier läuft etwas gewaltig schief. Du musst sofort etwas tun, um die Situation unter Kontrolle zu bekommen!“ Was auch immer du dann tust, hinterher hättest du es vermutlich lieber anders gemacht und schämst dich.
Und aus diesem wilden Gefühlscocktail steigt ein eisiges, beklemmendes Gefühl empor: diese Angst, vielleicht mit den Kindern einfach alles „falsch“ gemacht, versagt zu haben und womöglich die schlechteste Mutter auf der Welt zu sein.
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Keine gute Mutter – woher kommt diese Versagensangst?
Die Versagensangst als Mutter ist weit verbreitet und stets liegt ihr Unsicherheit zu Grunde. Diese Unsicherheit hat ein Bündel von Ursachen, die natürlich bei jeder Frau etwas anders gelagert sind.
1. Entscheidungen
Schon in der Schwangerschaft geht es los. Wir müssen unzählige Entscheidungen treffen, die für das Kind weitreichende Folgen haben könnten.
Sollen wir so viele Ultraschalluntersuchungen wie möglich machen lassen, um etwaige Fehlentwicklungen frühzeitig erkennen und diesen entgegenwirken zu können? Oder sollen wir solche Untersuchungen ganz vermeiden, da sie Stress für uns und unser Baby bedeuten?
Was sollen wir essen? Keinen Rohmilchkäse, kein rohes Fleisch, keinen ungewaschenen Salat, um das Kind vor Krankheitserregern zu schützen? Keinen Zucker, keinen Kaffee, um das Kind nicht bereits vor der Geburt an die Sucht heranzuführen?
Wie lange soll meine Babypause dauern und wo möchte ich mein Kind danach in Betreuung geben? Kann es durch eine frühe Fremdbetreuung zu Bindungsstörungen kommen oder ist sie durch den sozialen Kontakt mit anderen Kindern und die vielen Fördermöglichkeiten erstrebenswert?
Schon als Schwangere fühlt sich das Leben oft an wie „Der heiße Draht“. Man hat das Gefühl, dass nur eine falsche Entscheidung die Zukunft des Kindes zerstören kann.
Natürlich ist diese Unsicherheit aufgrund der endlosen Wahlmöglichkeit nicht vorbei, sobald das Kind auf der Welt ist. Ganz im Gegenteil. Jedes „Problem“ im Verhalten des Kindes könnte seine Ursache in irgendeiner bereits falsch getroffenen Entscheidung haben.
Man kann so vieles tun oder lassen, dass manch eine Mutter das Gefühl bekommt, egal wie sie sich entscheidet, sie wird das falsche tun.
2. Mütter, Verwandtschaft, Erzieher, Lehrer, Ärzte oder Ratgeber
Ideal wäre es, wenn das Umfeld die jungen Mutter in ihrem gewählten Weg bestärken und unterstützen würde. Denn von einer in sich ruhenden, selbstsicheren Mutter können Kinder nur profitieren. Leider ist das viel zu selten der Fall.
„Du verwöhnst das Kind zu sehr, es wird dir immer auf der Nase herumtanzen“, prophezeit vielleicht die Schwiegermutter. Die Erzieherin mahnt an, dass der Sohn immer noch Kopffüßer zeichnet, das sei nicht mehr altersgerecht. Die Mutter der Kindergartenfreundin deiner Tochter möchte, dass die Kinder ihre Spielsachen auf dem Spielplatz miteinander teilen, auch wenn sie dazu gezwungen werden müssen – dein Bauchgefühl hält nichts davon.
Heute gibt es nicht mehr DEN Erziehungsstil, an den sich Eltern halten können. Wir tragen die volle Verantwortung dafür, wie wir mit unseren Kindern umgehen und welche Folgen sich daraus für unsere Kinder ergeben. Die vielen verschiedenen, oft widersprüchlichen Meinungen, Gebote und Warnungen von Experten, Verwandten und Bekannten können uns ganz schön unter Druck setzen.
Sie können mitunter dazu führen, dass wir ganz vergessen, bei uns selbst zu bleiben. Wir verbiegen uns immer mehr aufgrund der vielen auf uns herein prasselnden Anforderungen.
So zeigen wir uns unseren Kindern nicht mehr als die Person, die wir eigentlich sind, mit unseren individuellen Eigenschaften, unseren Werten und unserem Temperament. Stattdessen spielen wir die Rolle der vermeintlich perfekten Eltern, was weder uns noch unser Kind glücklich zu machen vermag.
3. Erwartungen
So richtig kommen wir als Mütter allerdings ins Schwimmen, wenn das Leben mit den Kindern sich als ganz anders entpuppt, als wir dies eigentlich erwartet haben.
Werbung, Filme, Facebook und Instagram, die Medien zeichnen ein völlig verklärtes Bild vom Familienalltag. Wenn wir in unserem bisherigen Leben noch nicht viele Erfahrungen im Zusammenleben mit Kindern gesammelt haben, sind wir geneigt, diese unrealistischen Darstellungen für bare Münze zu nehmen.
Wir erwarten daher Babys, die nach kurzer Zeit durchschlafen und nur schreien, wenn sie Hunger haben oder eine frische Windel brauchen. Wir denken an Kinder, die die meiste Zeit gesund, glücklich und dankbar sind, die tun was wir ihnen sagen oder zumindest auf Kompromisse eingehen und all das begierig aufsaugen und umsetzen, was wir ihnen vermitteln möchten.
Die Ernüchterung ist groß, wenn das Baby schreit und schreit, und du einfach nicht herausfinden kannst, was es braucht. Du fühlst dich hilflos, wenn das Kleinkind sich widersetzt und nicht mit sich reden lässt, sondern einfach nur wütet und wütet.
Deine Kinder bekriegen sich, obwohl du ihnen immer und immer wieder geduldig erklärst, dass sie einander verletzen und du dir ein harmonisches Miteinander in der Familie wünschst?
Unsere Erwartungen prallen hart mit der Realität zusammen. Zu einem echten Leben gehören negative Gefühle und schmerzhafte Erfahrungen dazu. Wir können auch unsere Kinder nicht davor bewahren. Es ist unfair von unseren Kindern zu erwarten, immer glücklich und dankbar zu sein. Sie haben ein Recht darauf, auch mal unzufrieden zu sein, denn nur das macht ihr Leben komplett.
Erst, wenn wir diesen Umstand akzeptieren, können wir Mütter aufhören, jedes Unglück des Kindes auf uns zu beziehen. Nein, wir haben nichts falsch gemacht, wir sind keine schlechten Mütter, wenn unsere Kinder wüten und weinen. Wenn wir ihnen die Möglichkeit lassen, ihre negativen Emotionen auszuleben und sie nicht zwingen, diese zu unterdrücken, machen wir ihnen – ganz im Gegenteil – ein Geschenk fürs Leben.
4. Vergleiche
Aber Julias Tochter schläft doch schon lange durch? Vielleicht weil die Kleine schon immer zum Einschlafen alleine in ihr Bettchen gelegt wurde? Warum habe ich das nicht hingekriegt? Vermutlich habe ich von Anfang an einiges falsch gemacht ...
Und Nadines Kinder spielen immer friedlich miteinander, statt aufeinander loszugehen. Habe ich bei meinen Kindern vielleicht von Anfang an durch falsches Verhalten die Eifersucht geschürt? Oder habe ich einfach den Altersabstand falsch gewählt?
Na und? Dann sind die anderen Kinder eben anders. Und die anderen Eltern auch. Das ewige Vergleichen tut uns nicht gut. Wenn wir ehrlich sind, ist niemandes Leben perfekt. Und wir müssen aufhören, alles, was nicht perfekt ist, auf uns selbst zu beziehen.
Vielleicht hat Julia keine Unterstützung durch ihren Mann, der fast rund um die Uhr arbeitet. Vielleicht fühlt sich Nadine auf ihrer Arbeit nicht wertgeschätzt. Glaubst du, die beiden haben etwas falsch gemacht, weil das so ist? Wohl eher nicht.
Das Leben beschert jedem individuelle Herausforderungen und wir tun gut daran, dies zu akzeptieren und dementsprechend auch ein individuelles und somit authentisches Leben zu führen.
Wie machst du Schluß mit der Versagensangst?
Wenn deine Versagensangst aus den oben beschriebenen Gefühlen der Unsicherheit, den Vergleichen und den falschen Erwartungen herrührt, kann die Lösung deines Problems nur lauten: Sicherheit schaffen!
1. Informieren
Du hast etwas gehört, das dich verunsichert? Jemand hat dir prophezeit, dass Kinder, die noch mit fünf Jahren bei ihren Eltern im Bett schlafen Gefahr laufen, niemals selbstständig zu werden? Bist du verunsichert, weil deine Tochter gerade erst anfängt, sich an Gegenständen hochzuziehen, während der vier Wochen jüngere Leon aus der Nachbarschaft schon seine ersten freien Schritte macht?
Mir hat es bei Zweifel und diffusen Ängsten immer geholfen, mich zu informieren. Frage andere „Betroffene“ nach ihren Erfahrungen, wende dich an Experten, lies hilfreiche Blogs und Fachliteratur. Am Ende des Artikels findest du eine Box mit meinen Literaturempfehlungen.
Wäre ich im Umgang mit meiner Tochter nicht in Situationen mit stark empfundener Unsicherheit geraten, wüsste ich heute nicht, dass ca. 20 Prozent aller Babys sehr viel und unerklärlich schreien und zwar unabhängig vom Verhalten der Eltern. Es kann das erste Kind sein, aber genauso auch das zweite oder dritte Kind in einer Familie. Es hat also nichts mit Erfahrung zu tun.
Durch Recherche weiß ich heute, dass es eine Gruppe Kinder gibt, denen Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit wichtiger sind, als Kooperation mit ihren Bezugspersonen. Diese Gruppe wird von Jesper Juul als „autonome „ bezeichnet. Und auch dieser Charakterzug hat nichts mit dem Verhalten der Eltern zu tun.
Wäre ich nicht durch das Tal von Unsicherheit gegangen, hätte ich mich nicht informiert, dann wäre ich heute nicht so weit zu erkennen, dass der Weg zu einem erfüllten Leben für Mütter und auch Kinder darin liegt, sich anderen so zu zeigen, wie es dem eigenen Wesen entspricht.
Wenn du dich zu deinem „Problem“-Thema informierst, findest du schnell heraus, dass du nicht alleine bist und viele mit ganz ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen haben. In den meisten Fällen liegt es NICHT daran, dass du als Mutter etwas falsch gemacht hättest. Es ist wichtig, dass du dir das klarmachst!
2. Verletzlichkeit akzeptieren
Die texanische Sozialwissenschaftlerin Brené Brown hat erforscht, welche Menschen ein besonders erfülltes, zufriedenes Leben führen.
Sie fand heraus, dass jene Menschen besonders zufrieden mit sich und ihrem Leben sind, die gar nicht erst versuchen, perfekt zu sein, um von anderen geliebt zu werden. Diese Menschen erkennen ihre eigene Scham und Verletzlichkeit an.
Die meisten Menschen leben heute mit dem Gefühl, ihre verletzlichen Seiten vor anderen verstecken zu müssen, und haben sich zu diesem Zweck allerhand Schutzmechanismen zugelegt.
Menschen, die sich wertvoll und geliebt fühlen, versuchen nicht, die Verletzlichkeit um jeden Preis zu vermeiden, sondern gehen offen damit um. Sie gehen davon aus, dass gerade diese verletzliche Seite sie zu einem liebenswerten Menschen machen, und bringen daher den Mut auf, diese zu zeigen.
Ein erster Schritt in ein erfülltes Leben wäre also auch für dich, deine verletzliche Seite nicht mehr zu verstecken. Du hast Angst keine gute Mutter zu sein? Dann vertraue dich jemandem an.
Erzähle einer guten Freundin, deinem Partner oder einer anderen Vertrauensperson von all deinen Befürchtungen. Suche einen professionellen Berater oder komm zu mir ins Mama-Coaching welche Umgebung auch immer für dich am angenehmsten ist.
Dieser Schritt erfordert Mut, bringt aber auch eine enorme Erleichterung. Denn nur auf diese Art lernst du, deine Verletzlichkeit zu akzeptieren und erkennst, dass du gerade durch diese Verletzlichkeit für andere liebenswert bist.
3. Zu Selbstklarheit finden
Wenn wir nicht mehr versuchen wollen, dem gesellschaftlichen Ideal einer perfekten Mutter zu entsprechen, stellt sich die Frage, wie wir dann sein wollen.
Viele von uns haben vielleicht verlernt, auf sich selbst zu hören, ja sich selbst überhaupt ernst zu nehmen. Dann ist es jetzt an der Zeit, sich wieder selbst kennenzulernen.
Was machst du gerne? Wovon bekommst du gute Laune? Was findest du interessant? Welche Werte sind dir wichtig? Was kannst du besonders gut? Wie steigerst du deine Lebenszufriedenheit? Welches sind deine Lebensziele?
Wenn du ehrliche Antworten auf diese und ähnliche Fragen findest, kannst du dich vom äußeren Perfektionsdruck leichter befreien und dein wahres Ich authentisch leben.
Wenn du dein eigenes Leben lebst, dein Handeln an deinen ureigenen Werten ausrichtest, dich selbst leiden kannst und ausgeglichen bist, dann geht es den Kindern gut (nicht, wenn du dich selbst aufopferst). Denn dann bist du die beste Mutter, die du sein kannst.
Der Unsicherheit ins Auge sehen
Meine Lösungsvorschläge zielen darauf ab, dass du deine Unsicherheiten als solche erkennst und dann nicht verdrängst, sondern als Herausforderung siehst, die du angehst.
Versuche nicht, deine Unsicherheit zu übertünchen, sondern gestehe sie dir zu und verberge sie auch nicht vor anderen. Suche stattdessen nach deiner eigenen Wahrheit.
Das erfordert zwar Mut, jedoch wirst du daran wachsen und dich Stück für Stück zu einer kraftvolleren Mama entwickeln.
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