Was du brauchst, wenn alles anders bleibt: Kognitive Flexibilität

Sobald wir Kinder haben, fordert das Leben von uns Eltern, dass wir uns ständig anpassen.

Mit der Schwangerschaft fängt es an, wenn sich der Körper und seine Empfindungen immer wieder verändern. Die Geburt des Kindes verlangt auch eine außerordentliche Anpassungsleistung von uns. Und dann jagt eine Phase die nächste. Wir müssen uns auf das Kind und dessen Entwicklungsphasen immer wieder neu einstellen. 

Aber auch der Alltag bietet uns eine Überraschung nach der anderen: Da wird plötzlich das Glas Wasser umgeschüttet, das Kind braucht eine frische Windel, wenn wir gerade loswollen, Geschwisterstreit bricht aus heiterem Himmel aus, das Knie ist aufgeschürft und das Kind braucht Trost, oder es kommt zu einem emotionalen Zusammenbruch bei den Hausaufgaben. Da hilft der schönste Haushaltsplan nichts, wenn die Kinder nun mal dazwischenfunken.

Wie gut wir mit dem ganzen Chaos zurechtkommen, ist nicht nur von Person zu Person unterschiedlich, sondern variiert auch bei ein und derselben Person stark.

Das liegt an der kognitiven Flexibilität, also der Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen.

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Kognitive Flexibilität im Verlauf des Alters

Es gibt einen typischen Verlauf im Leben eines Menschen. Kleine Kinder sind noch sehr unflexibel. Die Flexibilität steigt dann immer weiter, bis sie etwa zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr ihren Höhepunkt erreicht hat, um dann im Alter wieder abzunehmen.

Es ist also kein Zufall, dass gerade Kleinkinder sehr positiv auf immer gleiche Routinen ansprechen und richtig außer sich geraten können, wenn etwas nicht so läuft, wie sie sich das vorgestellt hatten.

Oder ein anders Phänomen: Die meisten Kinder haben Schwierigkeiten mit Übergängen. Wenn sie jetzt mit einer Tätigkeit, z. B. dem Spielen aufhören sollen und dann zum Essen kommen oder sich Jacke und Schuhe anziehen sollen, stellen sie sich häufig quer. 

Das treibt Eltern oft zur Verzweiflung. Sie glauben, das könne ja nicht so schwer sein. Schließlich KANN das Kind sich ja schon längst die Jacke anziehen. Es muss halt einfach nur mitmachen. Aber Kinder sind kognitiv noch nicht in der Lage, so flexibel zwischen verschiedenen Tätigkeiten hin und her zu wechseln wie wir Erwachsenen.

Auch wenn das kleine Kind es nicht erträgt, wenn ein Besuchskind mit seinen Spielsachen spielt oder wenn es nicht akzeptieren kann, dass Mama gerade krank ist und sich auf die Couch zurückziehen möchte. Das hat alles mit der sich erst noch zu entwickelnden Anpassungsfähigkeit zu tun.

Vielleicht magst du mal darüber nachdenken, welche Konflikte du mit deinen Kindern in letzter Zeit hattest und welche davon mit seiner noch eingeschränkten kognitiven Flexibilität zu tun haben. Es fällt oft leichter, diese Schwierigkeiten zu akzeptieren, wenn wir wissen, dass das zu einer normalen kognitiven Entwicklung gehört.

Die Entwicklung der kognitiven Flexibilität braucht Zeit

Mit steigendem Alter des Kindes werden Probleme dieser Art abnehmen. Auch wenn Tante Adelheid sagt, das Kind müsse es jetzt aber wirklich mal lernen: Spielsachen zu teilen, plötzlich auftauchenden Besuch zu begrüßen, sofort zu kommen, wenn man es ruft, ein „Nein“ von Erwachsenen ohne Protestgebrüll zu akzeptieren. Das stimmt nicht! 

Wir müssen den Kindern einen gewissen Welpenschutz lassen, sodass sie ihrer biologisch angelegten kognitiven Entwicklung folgen können. Die geistige Flexibilität wird zu gegebener Zeit von allein kommen.

Wenn Tante Adelheid selbst schon einem älteren Semester angehört, dann dürfen wir ihr andererseits auch einen gewissen Altersstarrsinn zugestehen. Es ist nun mal so, dass die geistige Flexibilität mit dem Alter nachlässt und es Tante Adelheid sehr schwerfällt, von ihren einmal gefestigten Überzeugungen abzurücken.

Wie gut du selbst dich an die sich ständig ändernden Umstände im Leben mit Kindern anpassen kannst, hängt also wohl auch ein bisschen damit zusammen, ob du eine vergleichsweise eher jüngere oder ältere Mutter bist.

Du bist flexibler, wenn du dich wohl fühlst

Was auch einen großen Einfluss hat, ist unsere Stimmung, wie gestresst oder entspannt wir in einer Situation gerade sind. 

Sicher kennst du es auch, dass du auf ein und dasselbe Verhalten deines Kindes, völlig unterschiedlich reagierst. Mal wischst du das Wasser aus dem umgestoßenen Glas ganz nebenbei weg und sagst freundlich: „Das kann doch jedem Mal passieren.“ Mal explodierst du und entlädst den ganzen angestauten Stress des Tages über deinem erschrockenen Kind. 

Und auch bei Kindern ist das so. Wenn du deinem Kind sagst: „Komm, hör auf zu spielen, wir wollen jetzt ein Eis essen gehen“, kommt es vielleicht fröhlich angerannt und wartet nach wenigen Sekunden fertig angezogen ungeduldig an der Tür. Es ist dann in so guter Stimmung, dass Übergänge für dein Kind in DIESER Situation ein Klacks sind. 

Und dasselbe Kind ist mit der gleichen Herausforderung am nächsten Morgen, wenn du dringend zur Arbeit und zum Kindergarten aufbrechen möchtest, überfordert. Nicht weil das Kind dann stur ist, sondern weil seine kognitive Flexibilität gerade nicht genauso gegeben ist.

Individuelle genetische Veranlagungen

Manche Menschen sind einfach von Natur aus kognitiv flexibler als andere. Das gehört zu ihrer genetischen Ausstattung.

Indirekt weniger flexibel

Manche Menschen sind aber auch indirekt weniger flexibel. Weil ihr Flexibilitäts-Potenzial schon an anderer Stelle verbraucht wurde.

Wer (hoch)sensibel ist und Sinnesreize intensiver aufnimmt als andere und sie nicht gut filtern kann, dessen Grundanspannung ist in gewissen Situationen, die mit vielen auf sie einprasselnden Reizen verbunden sind, höher als bei anderen. 

Wenn jetzt noch etwas Unvorhergesehenes dazu kommt, sind (hoch)sensible Personen schneller überfordert. Als (hoch)sensible Mutter empfindest du, einen Kindergeburtstag auszurichten, daher als viel anstrengender als andere. Und vielleicht hilft es dir dann, alles, was nur irgendwie geht, vorab zu planen, um immerhin einen gewissen Anteil an Kontrolle am Geschehen zu behalten.

Für ein hochsensibles Kind ist vielleicht der Kindergartenbesuch allein schon unglaublich herausfordernd. So viele Geräusche, so viele Kinder, die hin und her rennen und Unvorhergesehenes tun. Da kann es sein, dass es dem Kind mit einem Mal zu viel wird, und es sich entweder zurückzieht oder aggressiv auf das nächstbeste Kind losgeht. 

Hier hilft es dann nicht, das Kind zu bestrafen und zu hoffen, dass es sich dadurch nächstes Mal endlich zusammenreißt. Hilfreicher wäre es, deeskalierend und beruhigend einzugreifen, und dem Kind nächstes Mal vorbeugend den Rückzug in eine reizärmere Umgebung anzubieten und seinen Alltag durch so viele bekannte Routinen wie möglich zu strukturieren.

Menschen sind nicht böswillig unflexibel

Was wir bis hierhin schon mal als Erkenntnis mitnehmen können ist, dass Menschen, die gerade nicht gut mit sich ändernden Bedingungen umgehen, das nicht böswillig tun. Ob nun altersbedingt, aufgrund ihrer genetischen Ausstattung oder ihrem momentanen Stresslevel, sind diese Menschen gerade überfordert, sich der Situation anzupassen.

Wenn wir das bei anderen erkennen, können wir es als Gegebenheit hinnehmen, und uns flexibel anpassen. Wenn wir nicht erwarten, dass das Kleinkind vernünftig einlenkt, dass die überarbeitete Kollegin einen genialen kreativen Einfall hat oder der Papa des Kindes es durch den Druck unserer ständigen Kritik endlich „richtig“ macht, dann können wir selbst nach einem kreativen Umweg suchen.

Kognitive Flexibilität lässt sich trainieren

Wie kognitiv flexibel wir selbst oder unsere Familienmitglieder sind, lässt sich tatsächlich trainieren.

Hier ein paar Ideen, wie du in deiner Familie die geistige Flexibilität steigern kannst:

  • Nehmt euch jeden Tag vor, eine Sache anders zu machen als sonst. Mal unterm Tisch frühstücken, mal den anderen Weg zum Kindergarten nehmen, mal ein anderes Brot kaufen. Jeder darf sich reihum etwas ausdenken. Wer die Erfahrung macht, dass es meistens gut geht und sogar Spaß macht, wenn man ausgetretene Pfade verlässt, der ist auch eher bereit, das in Zukunft wieder zu machen und im Training bleiben.
  • Unternehmt als Familie kleine Abenteuer. Zeltet im Garten, macht eine Nachtwanderung, fahrt mit dem Zug irgendwohin. Bei all diesen kleinen Alltagstrainingseinheiten ist es ganz wichtig, dass niemand dazu gezwungen wird, der das nicht möchte. Wenn sich dein Kind mit Händen und Füßen dagegen wehrt, wird es seine Gründe haben. Vergiss nicht, dass sich die kognitive Flexibilität nicht durch Zwang erweitern lässt, sondern im Gegenteil durch Freude an kleinen Veränderungen. 
  • Sprecht in der Familie über verschiedene Sichtweisen, Pläne, Ziele und Strategien verschiedener Menschen. Was macht Mama anders als Papa, wenn es ums Aufräumen geht? Was macht die Familie der Schulfreundin als Wochenendritual, was machen wir, wie ist es in anderen Ländern und wie war es in den Ursprungsfamilien der Eltern? Welche Regeln sind bei Familie x anders als bei Familie y und warum empfinden die das wohl jeweils als wichtig? Wofür ist jeder einzelne von uns heute besonders dankbar?
  • Da die kognitive Flexibilität ja gerade als Problemlösekompetenz so hilfreich ist, ist es auch super, Probleme als Familie durch ein gemeinsames Brainstorming zu lösen. Wenn wir es so machen, welche Konsequenzen hätte das wohl? Wie können wir es noch machen? Und wären wir mit DEM Ergebnis dann zufriedener?

Kognitiv flexibel als Mutter

Das waren jetzt ein paar Ideen, wie wir als Familie etwas flexibler werden können. Häufig kommen Mamas aber mit folgendem Problem zu mir. Sie wollen, dass ihr Kind etwas tut oder lässt, aber das Kind stellt sich quer. 

Die Mutter versucht es wieder und wieder, immer auf die gleiche Art, aber das Kind reagiert eben auch immer und immer wieder gleich. Beide Seiten sind frustriert. 

Wir wissen nun, dass die kognitive Flexibilität der Kinder sich im Laufe ihrer Kindheit erst noch entwickelt. Wenn hier also jemand etwas an den eingefahrenen Mustern verändern kann, indem er etwas anderes ausprobiert, dann sind das wohl erst mal wir Eltern.

Und um uns diesen Schritt so leicht wie möglich zu machen, gibt es ein paar Dinge, die wir beachten können:

  • Wir können dafür Sorge tragen, dass wir möglichst entspannt sind, wenn wir das nächste Mal in die wiederkehrende Konfliktsituation geraten. Je besser es uns geht, desto flexibler und kreativer können wir sein. Mach vielleicht am frühen Abend einen Spaziergang um den Block, wenn du weißt, dass es bei der Abendroutine immer wieder zu Konflikten kommt. So kannst du dich entspannter darauf einlassen, wie es nun mal gerade ist.
  • Wir können Situationen, die wieder und wieder unbefriedigend laufen, im Nachhinein reflektieren. Dabei können wir verschiedene Lösungsansätze gedanklich durchspielen und uns ein bestimmtes Verhalten vornehmen.
  • Wir können uns Anregungen von außerhalb holen, wie man eine Situation noch angehen könnte. Oft meinen wir ja, unsere Art etwas zu tun, wäre die einzig denkbare. Frag Freundinnen, was sie tun würden, lies entsprechende Bücher, Blogs, höre Podcasts wie diesen, such dir eine Gruppe Gleichgesinnter, mit der du dich austauschen kannst. Das alles kann deinen Blickwinkel erweitern und dich mit alternativen Strategien bekannt machen.

Bitte nicht überfordern

Wir können uns und unserer Familie Gutes tun, wenn wir ab und zu die Komfortzone verlassen und in die Lernzone eintreten.

Das sollte aber immer mit Freude, Neugier und Abenteuerlust einhergehen. Denn dann können wir positive Erfahrungen damit sammeln, alternative Verhaltensstrategien auszuprobieren. Nur dann werden wir diese Erfahrung wiederholen wollen.

Was überhaupt nichts bringt, ist, wenn wir uns oder unsere Liebsten mit der Anforderung nach mehr Flexibilität überfordern.

Was passiert, wenn wir unser Kind zwingen, eine andere Strategie, als die von ihm bevorzugte auszuprobieren? Wenn wir es zwingen, sein Lieblingsspielzeug an das Besuchskind abzugeben? Wahrscheinlich wird es von seinen Gefühlen übermannt und alles läuft schief. Am Ende fühlt sich das Kind in seiner Annahme, dass es so und nicht anders laufen muss, bestätigt und wird in Zukunft noch sturer daran festhalten, was es sich in den Kopf gesetzt hat.

Ich hoffe, ich konnte dich für das Thema kognitive Flexibilität sensibilisieren. Nun kannst du besser einschätzen, inwiefern dein Kind oder du unter bestimmten Bedingungen überhaupt in der Lage seid euch flexibel an eine sich verändernde Situation anzupassen und wann ihr damit schlichtweg überfordert seid.

Ich wünsche dir viel Erfolg dabei, deine eigene Fähigkeit zur Flexibilität zu trainieren und schon bald die Früchte in Form von kreativen neuen Lösungsideen zu ernten. 

Wie stehst du zu diesen Gedanken zur  kognitiven Flexibilität? Und was hilft dir, im Familienalltag geistig flexibel zu bleiben? Schreib mir gerne einen Kommentar!

Solltest du jetzt das Gefühl haben, du möchtest das trainieren, aber nicht alleine? Dann hab ich ein Angebot für dich. Wie wäre es, wenn du beim Jahresprogramm „Bewusster leben als Mama“ mitmachst? Wir starten mit einer neuen Gruppe im September. 

Du kannst dort deine individuellen Herausforderungen schildern und wir überlegen zusammen, wie man damit noch umgehen könnte, welche Handlungsalternativen es geben könnte. Infos dazu findest du hier.

Autorin Lena Franck

Ich bin Mama-Coach und selbst Mama dreier Kinder, die 10, 8 und 4 Jahre alt sind. Ich unterstütze Mamas dabei, sich wieder zufriedener und ausgeglichener zu fühlen, um für ihre Kinder endlich die entspannte und fröhliche Mama sein zu können, die sie sich eigentlich für sie wünschen. Denn eine zufriedene Mama ist die beste Mama, die du sein kannst!

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