2015 lag die statistische Geburtenrate in Deutschland bei 1,5 Kindern je Frau. Dies ist der Höchststand seit 1982.

"Jeder darf weinen!", so lautet eine unserer wenigen Familienregeln.

Die geringe Kinderdichte in Deutschland hat zur Folge, dass immer mehr Menschen unsicher, teilweise überfordert sind, sobald sie selbst Eltern werden.

Warum es sie gibt? Nun, vor einigen Jahren hatte ich den Wunsch, mit meinen Kindern – damals ca. 2 und 4 Jahre alt – über Regeln in der Familie zu sprechen. Ich hatte vor, ihnen in einem ruhigen Moment näher zu bringen, welche Umgangsformen mir in der Familie wichtig sind.

Um ihnen diese nicht einfach nur überzustülpen, fragte ich meine Töchter zunächst, welche Regel sie gerne aufstellen würden. Ich war verblüfft. Meine 4-jährige Tochter zögerte nicht lange und sagte mit fester, klarer Stimme „Jeder darf weinen!“.

Sie hatte damit einen Nerv bei mir getroffen. 

More...

Mir ist und war es immer wichtig, dass in unserer Familie jeder seine Gefühle zeigen darf. 

Es ist so wichtig für die psychische Gesundheit, aber auch für ein authentisches Zusammenleben, seine Gefühle nicht zu unterdrücken, den anderen nicht falsche Tatsachen vorzuspielen. 

Kaum ein Mädchen wurde groß, ohne dass es die Möglichkeit hatte, beiläufig die Rolle als Mutter zu erlernen und einzuüben.

Und doch schrie es in mir oft innerlich laut „Neeiiin!“, wenn ich meine Tochter, ein sensibles und gefühlsstarkes Kind, weinen hörte.

Es mangelte nicht an Gelegenheiten zu beobachten, wie Erwachsene mit Säuglingen umgehen. Ganz selbstverständlich passten die Mädchen (aber sicher auch die Jungen) auf ein Nachbarbaby, den kleinen Cousin oder das eigene jüngere Geschwisterkind auf.

Das Schreikind

Sie weinte von den ersten Lebenstagen an häufig und ausgiebig. Wenn sie unzufrieden wurde, dann fing sie nicht erst mal an, leise zu nörgeln, um die Intensität langsam zu steigern, sollten ihre Bedürfnisse nicht gestillt werden. In Ratgebern hatte ich gelesen, dass das so sein würde. 

Nein, ich suchte verzweifelt nach diesen ersten Signalen, die in meiner Vorstellung sicher jede „gute“ Mutter wahrnehmen könnte. Bei ihr jedoch legte sich stets ganz plötzlich ein Schalter um – von null auf hundert! Und dann schrie sie – sehr intensiv. 

Zum Antritt unserer Mutterschaft wissen viele von uns kaum etwas von all den Problemen, die es beim Großziehen der Kinder natürlich schon immer gegeben hat.

Ich konnte dieses Babygebrüll kaum aushalten und habe alles versucht, um es abzustellen. Ich machte meinen Wert als Mutter daran fest, ob ich in der Lage war, mein Baby zufriedenzustellen.

Und ganz offensichtlich war ich nicht in der Lage. Das versetzte mich in Stress. Ganz offensichtlich konnte ich nicht feinfühlig genug auf mein Kind eingehen.

Nun hatte ich auch von den sogenannten Drei-Monats-Koliken gehört. Babys schreien aus unerfindlichen Gründen und hören dann, mit etwas Glück, nach den ersten drei Lebensmonaten auf. Sowas gibt es. Ich hoffte, dass ich es nach diesen drei Monaten durchgestanden hätte und alles wäre endlich gut.

Das Leben wurde tatsächlich etwas einfacher. Als die Kleine älter wurde, war sie fleißig damit beschäftigt, zu spielen, sich fortzubewegen und sprechen zu lernen. Das erfreute mich. 

Allerdings sollte sie auch die nächsten Jahre sehr schnell und plötzlich von ihren starken Gefühlen übermannt werden.

Sie schrie, brüllte, weinte und schluchzte weiterhin sehr oft und viel. Und sie tobte und wütete.

Ich war fest entschlossen, sie nicht ändern zu wollen. Sie sollte einfach sein dürfen wie sie ist – mit all ihren Gefühlen. 

Andererseits zehrte es auch sooo sehr an meinen Nerven und ich wünschte mich manchmal weit weg. Diese Ambivalenz spürte sie sicher. Und sie drückte das in unserem neuen Familiengesetz aus: „Jeder darf weinen!“

Jeder hat ein Recht auf seine Gefühle

Mittlerweile habe ich als Mama-Coach mit vielen Mamas gearbeitet. Eigentlich wünscht sich jede Mama Gefühle in irgendeiner Form aus ihrer Familie weg.

Die Kinder sollen nicht wütend auf ihre Geschwister reagieren. Sie sollen sich nicht querstellen, wenn ein Familienausflug geplant ist, sondern sich freuen. Es soll endlich mal Schluss sein mit dem Nörgeln, Fordern und Rumschreien. Stattdessen sollen die lieben Kleinen endlich mal zufrieden sein, weil sich Mama doch so viel Mühe gibt.

Die Mütter selbst wollen auch so einiges an eigenen Gefühlen loswerden. Sie wollen nicht mehr wütend und aggressiv auf ihre Kinder reagieren. Und sie wollen das Gefühl loswerden, ständig zu kurz zu kommen. Sie wollen nicht mehr unzufrieden sein, sondern endlich glücklich mit dem Leben, so wie es ist.

Ja ich kenne das alles zu gut von mir selbst. Noch in meiner Coaching-Ausbildung ging ich zu meiner Kollegin in ein Coaching mit dem Ziel, meine Wut und Aggression gegenüber meinem Kind loszuwerden, wenn es nach seinem Geschwisterkind schlug (und dieses fiese Schlagen sollte natürlich am liebsten gleich mit aufhören). Ich wollte diese ganze „blöde“ Wut am liebsten ausradieren aus meiner Familie.

Wenn die kindlichen Gefühle Mama triggern

Heute ist mir klar, warum mich die Wut meiner Kinder so triggert. Ich selbst habe als Kind nicht gelernt, konstruktiv mit Wut umzugehen. Ich habe sie bei mir selbst und anderen als gefährlich erlebt. 

Bis ich selbst Mutter wurde, habe ich sie sehr gekonnt weggesperrt. Eigentlich war ich überzeugt davon, dass ich die Ruhe selbst bin. Als Erwachsene kannte ich solche Wutgefühle eigentlich gar nicht mehr.

Da kommt nun so ein kleiner Wurm zur Welt und übernimmt einfach nicht meine scheinbar so wunderbare Strategie, „negative“ Gefühle zu betäuben. Stattdessen brüllt er stets, wenn ihm etwas nicht passt, alles in die Welt hinaus.

Puh. Was herrschte da für ein Alarmzustand in meinem Inneren! Mein Kind und ich – wir waren gefühlt in höchster Gefahr! Ich hatte doch gelernt, diese Gefühle wegzudrücken, mich anzupassen, mich unauffällig zu verhalten, damit mich alle lieb hatten und ich ja nicht ausgestoßen wurde. 

Tja, manche Kinder übernehmen diese Strategien unbewusst von ihren Eltern und verhalten sich genauso. Andere machen genau das Gegenteil.

Mein Kind zwang mich, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Gefühle sind unser Freund und Helfer

Heute weiß ich, dass Gefühle da sind, um uns zu helfen. Gefühle wie Freude und Zufriedenheit zeigen uns an, dass hier gerade einiges richtig läuft und wir alles daran setzen sollten, mehr davon zu bekommen.

Gefühle wie Trauer, Wut, Angst, Frust usw. weisen uns dagegen darauf hin, dass hier etwas passiert, was uns nicht gut tut und wir einen Weg suchen müssen, damit es uns wieder besser geht.

Wenn wir uns selbst verbieten, diese Gefühle wahrzunehmen, dann ignorieren wir unsere Bedürfnisse und Grenzverletzungen. Daraus resultiert, dass wir uns übernehmen, uns aufopfern, so lange wie eine Marionette „funktionieren“, bis gar nichts mehr geht.

Einen Burnout hatte ich schon erlebt, bevor ich Mutter wurde. Das wünscht man niemandem

Stattdessen müssen sowohl ich als auch viele andere Mamas, für sich selbst einüben, diese Gefühle wieder aufkommen zu lassen

Wir können diese Gefühle wertschätzen. Wir müssen sie weder anstauen, bis wir an unpassender Stelle „explodieren“, noch so lange unterdrücken, bis sie in einer Depression oder einem Burnout enden. Und wir können dies unseren Kindern von Anfang an mitgeben.

Weinen ist eine ganz ausgezeichnete Möglichkeit, den Gefühlen ihren Platz zu geben, ohne andere zu verletzen.

Wenn dir nach Weinen zumute ist, ganz gleich ob aus Trauer, Wut oder Verzweiflung, lass deinen Tränen freien Lauf. Das tut deinen Kindern nicht weh – solange du ihm nicht die Schuld dafür aufbürdest.

Versuche auch dein Kind nicht vom Weinen abzuhalten. Sag ihm nicht, dass es aufhören soll. Du musst es auch nicht ablenken oder alles tun, was es möchte (und dabei vielleicht eigene Grenzen übergehen), damit keine unerwünschten Gefühle aufkommen. 

Es ist normal, dass sich jedem im Leben Steine in den Weg stellen und man dann unangenehme Gefühle durchlebt. Sie sind okay und sie vergehen auch wieder. 

Gefühle dürfen einfach da sein.

Wenn dich – wie mich – solche Gefühle deiner Kinder triggern, dann gib auch diesem Gefühl seinen Platz. Denk dir: „Ah hallo, da bist du ja wieder und willst mich warnen und beschützen. Danke dir! Aber keine Angst, wir sind nicht in Gefahr. Mein Kind möchte weinen und das tut ihm gut.“ 

Dann konzentriere dich wieder auf dein Kind und begleite es durch seine schwierigen Gefühle, sodass es einen gesunden Umgang damit findet.

„Jeder darf weinen!“ – diese Regel ist eine stets willkommene Erinnerung in unserer Familie. Ich bin so dankbar, dass sie hier so präsent ist.

Nimm Unterstützung an

Wie sind deine Gedanken zu dem Thema? Hast auch du die Erfahrung gemacht, dass erfahrenere Mütter häufig entspannter sind? Ich freue mich über deinen Kommentar.

Mit kraftvollMama möchte auch ich dich unterstützen: Mit praktischen Tipps und Denkweisen, die dich stärker machen sollen. Abonniere meinen Newsletter.

Was dir – genau wie den Schimpansinnen – helfen kann, ist ein soziales Netzwerk, das dich unterstützt und dich in harten Zeiten auffängt. Nimm daher jede Gelegenheit wahr, Familienbande, Freundschaften und deinen Bekanntenkreis zu pflegen. So fällt es dir leichter, um Hilfe zu bitten und Unterstützung zu erhalten. Du musst es nicht alleine schaffen.

Autorin Lena Franck

Ich bin Lena Franck, 41 Jahre alt und selbst Mutter dreier Kinder. Als Mama-Coach helfe ich Müttern, im Familienalltag gelassen und selbstsicher zu sein, sodass sie ihr Leben mit ihren Liebsten endlich genießen können, statt nur zu meckern und zu schimpfen – denn eine zufriedene Mama ist das größte Geschenk für die Entwicklung eines jeden Kindes!
Mehr über mich

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked

  1. Es tut gut zu hören,dass ich auch vor meinem Kind weinen darf.
    Allerdings stellt sich mir die Frage, wie das Kind sich in dem Moment nicht schuldig fühlen kann, wenn ich es nach dem 3. Wutanfall nicht mehr schaffe,mein Gefühl der Erschöpfung wegzuschieben und ihm freien Lauf lasse.
    Die Tränen haben ja unmittelbar mit dem Kind und der Situation zu tun.
    Meine Tochter(2,5 jahre)ist unglaublich feinfühlig auf meine Emotionen und selbstvsejr gefühlsstark. Ich empfinde eine sehr große Verantwortung, ihr nicht zuviel meiner Gefühle zuzumuten, da ich die Gefahr sehe,dass sie sich irgendwann verantwortlich für mein Wohlbefinden fühlt. (Musste das leider schon oft beobachten wie sie danach immer bemüht ist mir gerecht zu werden,das zerbricht mein Herz)
    Das ist grad ein ziemliches Dilemma für mich, da ich auch ein emotionaler Mensch bin und diesem Wunsch, ihr Sicherheit zu geben dadurch oft nicht gerecht werden kann.
    Ich würde mich über ein kurzes Statement dazu freuen.
    Vielen Dank, ich freue much,auf diese Seite gestoßen zu sein.
    Lg alisha

    1. Liebe Alisha,
      ich kann deine Sorge verstehen. Ich denke nur, sie wird ihr ganzes Leben so feinfühlig sein und Stimmungen anderer Menschen aufnehmen. Jetzt, in ihrer Kindheit und im Schutz der Familie, ist die richtige Zeit, diese Seite an sich kennenzulernen und für sich einen Weg zu finden, damit umzugehen. Du kannst sie dabei unterstützen, indem du dich authentisch zeigst. Wenn du versuchst, deine Gefühle zu verbergen, dann machst du es nur komplizierter. Dein Kind nimmt immernoch die Gefühle wahr, aber dein (aufgesetztes) Gesicht und deine Worte sagen etwas anderes. Besser ist es doch, du gibst offen zu, dass es dir gerade nicht gut geht und deine Tochter merkt, dass ihre Wahrnehmung nicht falsch, sondern goldrichtig ist. Natürlich kannst du ihr dazu auch noch mitgeben, dass sie nicht verantwortlich für deine Gefühle ist. Es ist toll, wenn sie dir helfen und dich trösten will. Aber du kannst ihr signalisieren, dass deine Tränen nichts schlimmes sind, dass du es gut und wichtig findest, dass sie geweint werden, weil dadurch für dich eine Entlastung eintritt. Du kannst auch später nochmal mit ihr darüber reden, wenn es dir in dem Moment emotional einfach nicht gut genug geht. Hauptsache, dein Kind kann sich dann einen Reim auf ihre Erfahrung machen. Sie ist ja nie wirklich verantwortlich für die Situation, selbst wenn du gerade überfordert bist, dann ist es ja in Wirklichkeit nicht, weil dein Kind sich z.B. „falsch“ verhält, sondern weil du dir zu viel vorgenommen hast, weil du zu große Erwartungen hattest, weil du nicht genug Unterstützung oder Druck von außen hattest, weil es dir aus irgendwelchen Gründen gerade nicht gut ging (Krankheit z.B.) oder weil eben alte Gefühle aus deiner Kindheit getriggert wurden. Je klarer du dir selbst über diese Zusammenhänge bist, umso besser kannst du das deinem Kind gegenüber formulieren. Wichtig ist, dass du eben nicht sagst „Ich habe mich so überfordert gefühlt, weil du nicht getan hast, was ich dir gesagt habe“, sondern z.B. „Ich wollte unbedingt pünktlich loskommen und du wolltest unbedingt noch spielen, ich wusste einfach in dem Moment nicht, wie ich das lösen soll“. Denn es ist ok, das wir Erwachsene auch nicht immer eine Lösung wissen, aber Erwachsene können trotzdem immer bewusst die Verantwortung übernehmen. Ich hoffe, das bringt dich etwas weiter in deinem Dilemma.
      Liebe Grüße
      Lena

{"email":"Email-Adresse ungültig","url":"Website-Adresse ungültig","required":"Required field missing"}
>