Ein äußerst beliebter Artikel auf kraftvollMama ist „Mein Kind ist anstrengender als andere – was habe ich falsch gemacht?“

Daher freue ich mich sehr, dass die liebe Hanna vom Blog Mutterinstinkte.de einen persönlichen Erfahrungsbericht darüber verfasst hat, wie sie ihren überdurchschnittlich lauten und wilden Sohn als besonders anstrengend erlebt hat. 

Und sie verrät, wie sie ihren Frieden damit schließen konnte. Aber lest selbst – hier kommt ihr Gastbeitrag

"Als ich schwanger war, hatte ich eine Vorstellung von meinem Leben als Mama. Eine sehr schöne Vorstellung. Und eine völlig falsche, wie sich nach der Geburt herausstellte. 

Denn ich saß weder mit Cappucchino im Café, während mein Baby neben mir im Kinderwagen schlummerte, noch standen wir Eltern abends verliebt am Babybett und sahen dem Kleinen beim Schlafen zu. 

Stattdessen hatte ich das Kind etwa sechs Monate lang fast rund um die Uhr ganz nah am Körper. Vorzugsweise in der Trage oder an der Brust. Er schlief weder im eigenen Bett, noch ließ er sich länger als 30 Sekunden ablegen, ohne sofort alarmiert loszubrüllen. 

Sobald er mobil wurde, war aus der kleinen Klette ein furchtloser, schlafloser, lauter und scheinbar daueraktiver Entdecker geworden.

2015 lag die statistische Geburtenrate in Deutschland bei 1,5 Kindern je Frau. Dies ist der Höchststand seit 1982.

Die geringe Kinderdichte in Deutschland hat zur Folge, dass immer mehr Menschen unsicher, teilweise überfordert sind, sobald sie selbst Eltern werden.

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Ohne Rücksicht auf Verluste lief er in die Welt hinaus – und wir hinterher. 

Kurz gesagt: Ich hatte alle Hände voll zu tun und Zeit für Glücksgefühle blieb selten. Die ersten Jahre mit Baby und Kleinkind würde ich vor allem als eines bezeichnen: Anstrengend. 

Je größer er wurde, desto mehr drängte sich die Frage für mich und manchmal auch für Außenstehende auf: Ist das Kind einfach schlecht erzogen? Warum funktioniert das bei anderen Eltern so viel besser? Warum kann scheinbar nur mein Kind keine Minute am Restauranttisch bleiben, ist immer der Lauteste, Wildeste – und der Anstrengendste im Vergleich? 

Wenn Du Dich und Dein Kind darin ein wenig wiedererkennst oder aus anderen Gründen das Gefühl hast, Dein Kind ist viel anspruchsvoller als andere, dann will ich Dir heute erklären, warum das so ist.

Kaum ein Mädchen wurde groß, ohne dass es die Möglichkeit hatte, beiläufig die Rolle als Mutter zu erlernen und einzuüben.

 Und vor allem, warum Du nichts falsch gemacht oder „die Erziehung verpasst“ hast. 

Es mangelte nicht an Gelegenheiten zu beobachten, wie Erwachsene mit Säuglingen umgehen. Ganz selbstverständlich passten die Mädchen (aber sicher auch die Jungen) auf ein Nachbarbaby, den kleinen Cousin oder das eigene jüngere Geschwisterkind auf.

High Need oder warum manche Kinder anstrengender sind

Hast Du schon einmal den Begriff „High Need Kind“ gehört? So viel vorne weg: Mein Kind entspricht nicht den 12 Kriterien, die Dr. William Sears für High Need Babys festgelegt hat

Trotzdem kann die Theorie, die dahinter steht, auch anderen Eltern etwas vermitteln: Das, was für Babys und Kinder als „normal“ angesehen wird, ist ein sehr weites Spektrum. Ob ein Baby besonders herausfordernd für seine Eltern ist, hängt davon ab, wie extrem seine Verhaltensweisen und Charakterzüge sind. 

So ist es zum Beispiel völlig normal, dass Stillkinder nachts aufwachen und an die Brust wollen, richtig? Was aber, wenn ein Kind alle 30-60 Minuten aufwacht und stillen möchte? 

Auch ist es eine normale kindliche Verhaltensweise, nicht unbedingt lange still sitzen zu können und eine geringe Impulskontrolle zu haben, richtig? Was aber, wenn das Kind eigentlich ständig in Bewegung ist und sich von nichts und niemandem dazu bringen lässt, ruhig zu sitzen? 

Das ist dann zwar immer noch eine normale kindliche Verhaltensweise, aber eben am äußersten Ende von „normal“.

Wenn sich das nun in vielen Punkten, Verhaltensweisen und Charakterzügen so verhält, dann hast Du immer noch ein „ganz normales Baby“ und Du wirst immer Eltern finden, die sagen „das macht meines auch“ – aber eben selten Eltern, deren Kinder in so vielen Punkten so extrem sind. 

Zum Antritt unserer Mutterschaft wissen viele von uns kaum etwas von all den Problemen, die es beim Großziehen der Kinder natürlich schon immer gegeben hat.

Leider ist der Diskurs, der mit solch intensiven Kindern verbunden ist, häufig ein sehr negativer. Auch wenn Sears ausdrücklich klarzumachen versucht, dass „High Need“ keine Diagnose, Krankheit oder Verhaltensauffälligkeit ist, es klingt trotzdem wie ein Stempel. 

Noch hilfreicher finde ich darum die Ausführungen von Nora Imlau in „So viel Freude, so viel Wut“. Sie verwendet den positiven Begriff „gefühlsstark“ (engl. spirited). Ihre Ansichtsweise macht deutlich, dass gefühlsstarke Kinder auch etwas wunderschönes sein können und das Hauptproblem nicht die Kinder sind, sondern dass sie so wenig an unsere Gesellschaft anpassbar sind. 

Mir wurde klar, dass dieses „Viel“ an Aktivität, an Freude, an Neugier und Bewegung, die unser Sohn häufig zeigte auch zu ihm gehört. Genau, wie all die Charakterzüge, die ich so sehr an ihm liebe. Und dass es das eine nur wegen dem anderen gibt. 

Warum ein aktives Kind nicht die Folge schlechter Erziehung ist

„Gute Eltern haben anstrengende Kinder“ lautete einmal eine Schlagzeile, die mir sehr in Erinnerung geblieben ist. Im Fall eines gefühlsstarken Kindes, eines High Need Kindes oder wie auch immer man Kinder betiteln mag, die eben „mehr“ brauchen, stimmt dieser Satz auf jeden Fall. 

Denn eins hat mein Sohn mir über die ersten Monate und Jahre ganz klar gemacht: Um ihn auf „gesellschaftlich konform“, auf „normal“ zu biegen, müsste ich enorm viel Druck und erzieherische Gewalt anwenden. 

Dabei steht blinder, angsterfüllter Gehorsam bekanntlich bei den wenigsten von uns auf der Liste der Dinge, die wir unseren Kindern für ihr späteres Leben mitgeben wollen. 

Soll heißen: Wenn ich meinen Sohn vernünftig begleiten möchte auf seinem Weg zur Selbstregulation und zu einem konstruktiven Teil unserer Gesellschaft, dann muss ich das tun, ohne seinen Charakter zu brechen. Er muss selbst Strategien entwickeln, in Situationen, die das erfordern, ruhig zu sein. Sein Temperament zu beherrschen. 

Woher ich weiß, dass unser Weg der richtige ist

Eigentlich habe ich genug mütterliche Intuition und Kenntnis psychologischer und pädagogischer Grundlagen, um zu wissen, dass dieser Weg der richtige ist. 

Trotzdem kommt in Situationen, in denen sein Verhalten extrem unangenehm, anstrengend, peinlich oder gefährlich ist, besonders in der Öffentlichkeit, eine Frage immer wieder. Ganz leise, irgendwo im Unterbewusstsein. Und doch immer wieder: Ist es meine Schuld? Hätte ich von Anfang an stärker durchgreifen müssen? 

War ich in den ersten Wochen mit Baby zu unsicher? Zu wenig liebevoll? Zu liebevoll? Zu bedürfnisorientiert? Hätte es geholfen, mehr Grenzen zu setzen und mehr Regeln durchzusetzen? Hätten wir als Eltern etwas tun können, damit unser Familienleben weniger anstrengend ist? 

Vielleicht kennst Du diese Fragen. 

Für mich haben sich alle Zweifel erübrigt, als unser zweites Baby zur Welt kam, der Große war fast 4 Jahre alt. Und, obwohl wir uns diesmal darauf eingestellt hatten, dass ein Baby eben nicht im Kinderwagen liegt, nicht ohne Dauernuckeln schlafen kann und ununterbrochen getragen werden muss – diesmal war alles anders! 

Dabei waren wir doch mehr oder weniger dieselben Eltern. Unser Umgang war sicherlich ähnlich.

Und doch ist unser zweiter Sohn, das konnte ich von der ersten Minute an deutlich spüren, ganz anders.

Er brauchte mich nicht rund um die Uhr. Und das, obwohl er noch so winzig war! Er hat Bedürfnisse, ganz klar. Und als Neugeborener mussten die überwiegend von Mama befriedigt werden. Doch wenn er schlief, dann schlief er. Auch im Kinderwagen, im Auto oder in der Wiege. Wenn er satt war, musste er nicht an die Brust. Wenn er nicht müde war, war er gerne auch bei Papa, Opa oder jeder anderen Vertrauensperson. 

Das Leben mit Baby war so anders als das erste Mal. Diesmal war da Zeit, um das neue Wesen zu bestaunen. Zu genießen. Es gab Ruhephasen zwischen den anstrengenden Momenten. 

Wenn ich versuchen sollte, den Unterschied zwischen den beiden zu beschreiben, dann würde ich sagen, der Kleine ruht in sich selbst. Wie ein kleiner Buddha. 

Der Große dagegen braucht beständig jemanden neben sich, um ihm das Leben zu erklären, um ihn in der Selbstregulation zu unterstützen und seine Welt vorzufiltern. 

Der Unterschied zwischen den beiden Brüdern hat nichts mit mir zu tun oder mit Erziehung – sondern mit deren Charakter.

Diese Erfahrung hat mir viel Kraft gegeben, auch im Umgang mit unserem Großen. Er braucht seine Mama und ihre Liebe eben ein bisschen (viel) mehr und länger als die meisten anderen Kinder.

Das macht seine Charakterzüge, sein Wesen und sein Innerstes nicht weniger liebenswert. Im Gegenteil.

Wenn ich genau hinsehe, weiß ich, dass der Weg für ihn viel weiter ist und er sich viel mehr Mühe gibt, wenn er im Restaurant eben doch mal stillsitzt und ordentlich isst. Wenn er abends die Augen schließt und ruhig ist, bis er eingeschlafen ist. Wenn er bei Ärger nicht laut aufbrüllt und um sich schlägt. Wenn er ein Nein akzeptiert und trotzdem kooperativ bleibt.

Was für andere Kinder fast von selbst funktioniert, ist für ihn eine geistige Anstrengung, die er in den letzten fünf Jahren erlernt hat. Mit meiner Hilfe. 

Deshalb will ich es noch einmal ausdrücklich sagen. Für alle, die diese heilsame Erfahrung eines „normalen“ Babys (noch) nicht machen dürfen: Wenn Dein Kind gefühlsstark, temperamentvoll, high need, hochaktiv oder in einer ganz anderen Richtung ein extremes Verhalten aufweist: Es. Ist. Nicht. Deine. Schuld.

Kinder kommen nicht als unbeschriebenes Blatt zur Welt, dem wir nun unseren Stempel aufdrücken können. Kinder funktionieren nicht. Kinder werden nicht zu irgendetwas durch unser Zutun. Kinder sind schon jemand.

Jedes Baby kommt mit einem besonderen Charakter zur Welt, jedes mit einem ganz eigenen. Unsere Aufgabe als Eltern ist es nicht, diesen zu biegen und zu schleifen, bis er passt.

Unsere Aufgabe ist es, unsere Kinder so zu begleiten, dass sie mit ihren Anlagen und Eigenschaften in unserer Gesellschaft gut zurechtkommen." 

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Vielen Dank, liebe Hanna, für diesen Beitrag! 

Hast du auch ein auffallend lautes und wildes Kind? Konnten dich Hannas Worte beruhigen?Oder hast du ähnliche Erfahrungen wie Hanna gemacht und möchtest davon berichten? Wir freuen uns über deinen Kommentar.

Wie sind deine Gedanken zu dem Thema? Hast auch du die Erfahrung gemacht, dass erfahrenere Mütter häufig entspannter sind? Ich freue mich über deinen Kommentar.

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Autorin Lena Franck

Ich bin Lena Franck, 41 Jahre alt und selbst Mutter dreier Kinder. Als Mama-Coach helfe ich Müttern, im Familienalltag gelassen und selbstsicher zu sein, sodass sie ihr Leben mit ihren Liebsten endlich genießen können, statt nur zu meckern und zu schimpfen – denn eine zufriedene Mama ist das größte Geschenk für die Entwicklung eines jeden Kindes!
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  1. Ich habe bei deinem Text geweint. Danke für alles. Ich war gerade am Ende, am Limit. Ich habe jetzt wieder Kraft geschöpft, bin eben hoch zu meinem Freund und unserem Sohn und konnte ihn umarmen, nachdem ich vorhin fix und fertig war und plötzlich völig emotionslos wurde und er verwirrt , traurig und verzweifelt. Und er ist erst 1.5 Jahre alt…
    Danke für diesen tollen Text.

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